Zum Offenen Brief des Netzwerkes „Stadt für alle“ an SPD, LINKE und Grüne in Potsdam, anlässlich der Demos „Verdrängung und Mietenwahnsinn“ am 6. April 2019
Potsdam, 15. April 2019 Saskia Hüneke und Peter Schüler für die Stadtfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Grundsätzlich stimmen wir in der Analyse überein, dass der Mietenanstieg nicht mehr in einem sozial verträglichen Maß zu den Einkommen der Menschen steht.
Dies gilt für die Ballungsräume im gesamten Bundesgebiet. Das zeigt, dass dies kein spezifisch Potsdamsches Phänomen ist, sondern wesentliche Ursachen auf Bundesebene hat. Wir sehen hier ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren, die um so wirkmächtiger sind, als sie schon über einen längeren Zeitraum andauern:
- das Mietrecht, das die Immobilienwirtschaft überproportional bevorteilt;
- Steuervorteile für Investitionen (zunächst ein richtiger Steuerungsmechanismus), die auf die Dauer ab einer bestimmten Vermögensgröße zu einem unverhältnismäßigen Anstieg der Gesamtvermögen führen und so die soziale Ungleichheit im Land verschärfen;
- der Trend zunehmender Metropolenbildung und Landflucht;
- die wachsende Notwendigkeit baulicher Maßnahmen zur Energieeinsparung beim Wohnungsneubau
Erst die letzte Neuerung, den Mietenanstieg nach Modernisierung zu begrenzen, ist ein (kleiner) Schritt in die richtige Richtung, aber noch unzureichend.
Vor dem Hintergrund der Forderungen der gestrigen Demonstration zur Enteignung meinen wir aus Potsdamer Sicht, dass eher das Mietrecht und das Steuerrecht auf Bundesebene reformiert werden müssen. Das wäre zielführender als Enteignungen, die lange dauern würden, voraussichtlich extrem teuer wären und eben nur den Anstieg der Mieten in der jeweiligen Gesellschaft begrenzen dürfte.
Die gesetzlichen Regelungen zur Erhöhung der Bestandsmieten gehören auf den Prüfstand: Beispielsweise trägt die Regelung zur Erarbeitung eines qualifizierten Mietspiegels, nach der nur Mieten, die in den letzten vier Jahren vereinbart wurden, betrachtet werden, zu einem zu starken Anstieg auch der Bestandsmieten bei.
Wir halten es für überholt, dass die Kosten der Modernisierung, die zu einem Wertzuwachs der Immobilien führen, zur Gänze von den Mietern getragen werden müssen, ja sogar dadurch, dass die erhöhten Mieten ewig zu zahlen wären, die Mieter ein Mehrfaches der Modernisierungskosten tragen, wenn sie länger als 11 Jahre in der Wohnung bleiben. Zu fordern ist, dass Mieterhöhungen aufgrund von Modernisierungen nicht höher sein dürfen, als die modernisierungsbedingten Einsparungen bei den Betriebskosten.
Wir regen an, für Wohnungen auch Modelle des Mietkaufs im Gesetz vorzusehen.
Das von der Berliner SPD vorgeschlagene 5-Jährige Moratorium könnte geeignet sein, Zeit für die erforderlichen Gesetzesänderungen zu gewinnen.
Auf Landesebene kommen weitere Fehlentwicklungen hinzu, die hier von der SPD und den LINKEN zu verantworten sind: zulange wurde die Förderung des sozialen Wohnungsbaus ausgesetzt und zugleich durch zu geringen Ausbau des Bahnnetzes zu wenig für die Erreichbarkeit und Attraktivität der ländlichen Räume getan. Diese Kombination führt, obwohl die Bevölkerung nicht wächst, zu einem enormen Neubaubedarf und unter dem entstehenden Entwicklungsdruck in den Ballungsräumen zu höheren Neubezugsmieten. Die Wiedereinführung der Förderung des sozialen Wohnungsbaus war dringend erforderlich, allerdings ist die Bindungsfrist von 20 Jahren zu kurz.
Auch teilen wir Ihre Beobachtung, dass die Annahme, viel Bauen würde viel helfen, offenbar nicht zutrifft. Tatsächlich ist zu beobachten, dass auch infolge des Baubooms die Baukosten erheblich steigen und so zu immer höheren Mieten bei Neubauwohnungen beitragen.
Die angedeuteten Rahmenbedingungen gelten natürlich auch für Potsdam. Die besondere Lagegunst im unmittelbaren Südwesten von Berlin und die hohe Attraktivität der Stadt tragen dazu bei, dass ihre Wirkungen besonders intensiv sind.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit:
Die von Ihnen benannten Probleme treten vor allem bei Neuvermietungen im Altbaubereich und Neubau auf, die durchschnittliche Miete ist in Potsdam nicht so hoch. Dies ist kein Zufall, sondern auch Ergebnis von Bemühungen und Entscheidungen über Jahre hinweg sowohl der Verwaltung als auch der Stadtverordneten, die viel ehrenamtliche Zeit gerade dafür aufwenden. Es ist bitter, dass alle Bemühungen vor den oben geschilderten Rahmenbedingungen in Bund und Land immer nur eine begrenzte Wirksamkeit entfalten können. Auf jeden Fall trifft Ihre Annahme, in Potsdam würde das niemanden interessieren, nicht zu.
Zunächst haben die Sanierungssatzungen der 90er Jahre für die Potsdamer Innenstadt und für Babelsberg durch Konzeptvergaben den Mietenanstieg über 20 Jahre lang deutlich gebremst; hat die Stadt trotz der Verkäufe 20 % des Wohnungsbestands im Eigentum einer städtischen Gesellschaft, der Pro Potsdam, behalten, und stützt die Stadtpolitik ausdrücklich die traditionellen Wohnungsbaugenossenschaften. Besonders die DDR-Neubausiedlungen in städtischer oder genossenschaftlicher Hand weisen ausgesprochen niedrige Bestandsmieten auf.
Weitere Bemühungen der letzten Jahre bestanden im Wohnungspolitischen Konzept, in diversen Maßnahmen der Pro Potsdam sowie ein – zugegeben noch nicht ausreichend wirkungsvolles, aber schon in Revision befindliches – Baulandmodell, dass Investoren veranlassen soll, sich mit einem Anteil Ihre Gewinns an der sozialen Infrastruktur oder mietsenkenden Maßnahmen zu beteiligen. Auch werden Fördermittel, wo irgend möglich, genutzt, so z.B. aus dem Programm Soziale Stadt, der Städte mit historischen Stadtkernen, zur energetischen Ertüchtigung oder aus der wieder neuen Förderung für Sozialwohnungsbau. Vorhaben zum Verkauf der Restitutionssiedlungen wurden aufgegeben, stattdessen mietenverträglich saniert, an anderen Stellen wurden Mieterkaufmodelle realisiert, in der Potsdamer Mitte bleibt das Staudenhofgrundstück in städtischer Hand.
Der Eindruck Potsdam wäre führend in der Privatisierung kommunalen Eigentums ist nicht ganz richtig, obwohl es umfangreiche Verkäufe gegeben hat. Dies wurde vor allem in den Jahren 1999/2000 erforderlich, als die Stadt zu dieser Zeit so hoch verschuldet war, dass ihre kommunale Selbstverwaltung und damit z.B. die Finanzierung der freiwilligen Leistungen, nämlich der Kultur, infrage gestellt war. Vor die Alternative gestellt, das Klinikum, Teile der Stadtwerke oder Teile der Immobilien zu veräußern, hat sich die Stadtverordnetenversammlung mit breiter Mehrheit für den Behalt der städtischen Firmen, sogar für den Rückkauf der Wasserwerke und statt dessen für den Verkauf der damals noch unsanierten Immobilien entschlossen. Dies erscheint folgerichtig, zumal der Boom der heutigen Jahre zu diesem Zeitpunkt kaum abzusehen war. Durch die Pro Potsdam werden dennoch 20% des Wohnungsbestandes in städtischem Eigentum gehalten.
Konkret zu Ihren Forderungen:
- Die Verkäufe vergangener Jahre enden ohnehin. In den Sanierungsgebieten, bei denen es Teil des Konstrukts ist, dass die Immobilien privatisiert werden, um die Infrastrukturkosten zu refinanzieren, sollen Konzeptvergaben soziale Belange berücksichtigen.
- Für eine Milieuschutzsatzung fehlt noch die landesrechtliche Grundlage in Brandenburg. Wir wollen, dass die Stadt das beim Land einfordert.
- Die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein Vorkaufsrecht sind komplex, auch ginge das nicht generell, aber gerne wollen wir das untersuchen.
- Ein Mietendeckel für die Pro Potsdam ist auf den ersten Blick eine sympathisch klingende Idee, müsste zunächst allerdings geprüft werden. Es wäre nicht im Interesse der Mieter und Mieterinnen, wenn die Pro Potsdam wirtschaftlich nicht auskömmlich arbeiten könnte.
- Diese Unternehmen werden nicht offensiv unterstützt.
- Das tun wir ununterbrochen seit 1990, zuletzt zur Sicherung des Freiland e.V.; zum Areal Rechenzentrum/Kirchenschiff wird es sicher später Gespräche geben, wichtig ist uns zunächst, dass wir bis 2023 das Kunst- und Kreativquartier an der Plantage errichten, ein bemerkenswertes Vorhaben, das wir – vielleicht unrealistisch – auch gerne als städtisches Projekt gesehen hätten.
Ganz in Ihrem Sinne setzen auch wir uns dafür ein, dass städtische Grundstücke nicht zum Höchstgebot verkauft und sonst nach Möglichkeit im Wege von Erbbauverträgen vergeben werden, in Sanierungsgebieten soll Konzeptvergabe angewandt werden.
Die meisten Forderungen sind bereits Teil unseres Wahlprogramms. In ungewöhnlicher Weise haben wir dort auch aufgenommen, dass die Stadt über den deutschen Städtetag Forderungen an den Bund und an das Land stellen soll, um die grundlegenden Weichenstellungen im Mietrecht und Steuerrecht anzumahnen.