Ein Plädoyer für Inklusion

Ein Plädoyer für Inklusion

Von Inge Naundorf – Eine neue Förderschule muss her! Die Verwaltung argumentiert, die Nachfrage sei groß und es bestünde Bedarf für 300 Schulplätze. Man stelle sich vor: 300 Kinder mit dem Förderbedarf LER- und E-SOZ, also solche mit Lernproblemen und emotionalen Störungen, also 300 dieser Kinder sollen gemeinsam in einer Schule zusammengefasst werden. Ohne großen Schulhof zum Austoben. 300 Kinder mit Lernbehinderung, Aggressionen, Verhaltensauffälligkeiten und den damit verbundenen seelischen Verletzungen an einem Ort. Wie soll das denn bitte funktionieren? Welches Klima muss ich mir an dieser Schule vorstellen? Und wie sollen LehrerInnen denn eigentlich gestrickt sein, um diese Aufgabe zu schaffen?

Klar besteht eine Nachfrage nach Förderschulen, denn Inklusion funktioniert ja in Branden-burg längst nicht so, wie sie sollte. Jeden Herbst landen etwa 20 Prozent der Potsdamer In-klusions-Schulanfänger ein paar Monate später dann doch auf einer Förderschule. Wenn mein Kollege Daniel Keller argumentiert, es wäre fahrlässig, wenn Schüler ohne das nötige Personal bei Inklusion sich selbst unterlassen würden, dann stellt sich die Frage: Warum ist das denn so? Was hat denn das SPD-geführte Bildungsministerium seit 2005, denn so lange gibt es das Inklusionsgesetz im Land Brandenburg, unternommen, um Personal, Teilungsräume und gute Konzepte zu schaffen? Zurzeit (2019!) werden Studiengänge im Eilverfahren hergestellt. Schulbauten, die in vier Jahren fertig sein sollen, entstehen immer noch nach einem Raumprogramm aus 2004, Teilungsräume Fehlanzeige. All dies kritisieren wir von Bündnis90/Die Grünen seit vielen Jahren, passiert ist leider wenig.

ESOZ-und LER-Kinder stammen häufig aus sozial benachteiligten Familien, die damit überfordert sind, für das gesetzlich vorgegebene Recht auf Inklusion zu pochen. Lehrer aus bestehenden Förderschulen können bestätigen, dass eine Zusammenarbeit mit diesen Familien häufig nicht stattfinden kann. Wenn wir Chancengleichheit in der Bildung wollen, müssen wir die Voraussetzungen dafür auch schaffen. Besonders bei Kindern mit emotionalen Problemen ist häufig ein hoher IQ anzutreffen. Sie benötigen eine gute Begleitung, um ihre Potentiale nutzen zu können. Auch sollen sie sich an gesunden Kindern mit sozialer Kompetenz orientieren können; das halten gesunde Kinder aus, wie meine eigenen drei bestätigen können.

Wissenschaftliche Studien sprechen eine eindeutige Sprache: LER-Kinder schaffen inklusiv beschult viel häufiger einen Abschluss. Dies ist deshalb so wichtig, weil es SchülerInnen von der Förderschule aus doppelt so schwer haben, in die berufliche Bildung zu gehen – mit fatalen gesellschaftlichen Folgen. Auch Kinder mit Behinderungen habe ein Recht auf wohnortnahe Beschulung, zusammen mit allen anderen Gleichaltrigen. Politik ist gefordert, dafür die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Ein positives Ergebnis der vom Landesverband Bündnis90/Die Grünen in Auftrag gegebenen Studie ist es ja auch, dass Eltern und Lehrkräfte mehrheitlich Inklusion wollen. Nur – wir müssen sie besser machen!

Was wir brauchen: qualifizierte Assistenz für SchülerInnen, die von der Schule ausgeht und nicht per Gesetz am Kind definiert wird, sondern am Bedarf einer Klasse. Sport und Bewe-gung als Ausgleich. Inklusive Projekte und Ausflüge. An jeder Schule einen Teilungsraum pro Klasse. Gute Inklusion auch an den staatlichen, nicht nur an privaten Schulen. Einige von ihnen machen nämlich in Potsdam längst vor, wie es geht – auch mit „Problemkindern“. Eine Lehrerausbildung, die Inklusion umfasst. Eine Schulverwaltung, für die Inklusion selbstverständlich ist und nicht ein lästiges Beiwerk, vom Gesetz gefordert.

Was wir ganz bestimmt nicht brauchen: eine weitere Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen am Stadtrand und damit auch räumlich am Rand der Gesellschaft. Davon haben wir in Potsdam schon genug.